Ein Narzisst verlässt dich nicht wegen dem, was du bist. Er geht, weil er nicht erträgt, was er im Zusammensein mit dir in sich selbst sehen müsste.
Um zu verstehen, warum ein Narzisst von einer Beziehung zur nächsten wechselt, musst du aufhören zu glauben, dass er auf der Suche nach etwas ist. Es geht nicht um neue Liebe. Es geht nicht um tiefere Verbindung. Es geht nicht um dich oder die Person nach dir. Er sucht nicht. Er flieht.
Und zwar vor sich selbst.
Nicht vor seinem ganzen Selbst, sondern vor den Teilen, die er nicht sehen will. Die Anteile, die sich ungenügend fühlen, beschämt, emotional begrenzt oder schlicht gewöhnlich. Die Art von innerem Erleben, dem sich die meisten Menschen irgendwann stellen. Ein Narzisst kann das nicht. Oder will es nicht.
Denn sich der Scham zu stellen würde bedeuten, das Schauspiel zu verlassen. Unvollkommenheit zuzugeben würde bedeuten, die Illusion loszulassen. Und genau diese Illusion ist seine Überlebensstrategie. Sie ist nicht optional. Sie ist die Grundlage seiner Funktion. Seine Identität ist darum gebaut, den Blick nach innen zu vermeiden. Wenn er lange genug in einer Beziehung bleibt, tauchen Risse auf. Wenn er lange genug bleibt, muss er sehen, was er beim anderen auslöst. Er müsste fühlen, was er verursacht hat. Und das ist für ihn unerträglich. Also geht er.
Es geht nicht um Liebe. Es geht um emotionales Überleben.
Der neue Partner ist der Neustart. Eine frische Quelle von Bewunderung, Bestätigung, Aufmerksamkeit. Eine leere Leinwand, auf der sein vergangener Schaden noch nicht sichtbar ist. Die neue Person glaubt die Geschichte. Sie denkt, sie ist die Ausnahme. Sie denkt, diese Verbindung ist anders. Das ist Teil des Musters. Die Idealisierung beginnt. Dann kommt die Enttäuschung. Dann die Schuldzuweisung. Dann der Abgang. Wieder.
Dieser Zyklus schützt den Narzissten davor, sich selbst in der Tiefe einer echten Beziehung zu begegnen. Denn echte Intimität spiegelt alles, nicht nur das sorgfältig inszenierte Bild. Sie bringt alte Bedürfnisse hoch. Sie legt Muster offen. Sie fordert Selbstreflexion. Und das Schlimmste für einen Narzissten, sie verlangt Veränderung. Keine oberflächliche, sondern echte. Die Art, bei der man Schuld eingesteht, mit unangenehmen Gefühlen bleibt und lernt, wie man repariert. Das wollen sie nicht. Also jagen sie dem nächsten Rausch hinterher, dem Rausch, wieder idealisiert zu werden. Sie sehnen sich nach Bewunderung, weil Introspektion für ihr Selbstbild wie ein innerer Tod wirkt. Kontrolle ist leichter als Verantwortung. Aufregung einfacher als Beständigkeit.
Deshalb geht es nie um dich.
Aber es fühlt sich so an. Wenn du auf der empfangenden Seite stehst, fühlt es sich persönlich an. Weil der Rückzug so abrupt kommt. Weil sie vorher so engagiert wirkten. Weil sie deine Träume gespiegelt haben, deine Sprache gesprochen haben, deine verwundbarsten Stellen berührt haben. Und dann werden sie kalt. Und dann wirst du fallen gelassen. Und dann bekommst du zu spüren, direkt oder subtil, dass du das Problem warst. Du warst zu viel, zu sensibel, zu fordernd. Oder nicht genug. Und die Verwirrung beginnt.
Du gehst zurück und durchlebst jedes Detail. Du suchst nach dem Moment, in dem du etwas hättest anders machen können. Du denkst, wenn ich verstehe, was schiefgelaufen ist, kann ich es reparieren. Aber da war kein Moment. Da war kein Fehler. Die Verbindung war nie in der Realität verankert. Sie diente dem Zweck, die Realität zu vermeiden. Von Anfang an.
Narzisstische Menschen gehen keine Beziehungen ein, um zu wachsen. Sie gehen Beziehungen ein, um sich zu verstecken. Von außen sieht es aus, als würden sie nach Liebe suchen. Von innen fliehen sie vor den Teilen in sich, denen sie sich nicht stellen wollen.
Und weil du ehrlich geliebt hast, weil du geblieben bist, weil du präsent warst, wurdest du zu einem Spiegel, den sie nicht mehr ertragen konnten. Du hast ihr Ausweichen gespiegelt. Du hast ihre Wirkung gespiegelt. Du hast die Arbeit gespiegelt, die sie verweigern. Also sind sie gegangen. Nicht wegen dir. Sondern wegen dem, was sie durch dich sehen mussten und nicht aushalten konnten.
Das ist nicht dein Versagen.
Es ist der Moment, in dem du erkennst, was sie nicht sehen konnten. Dass echte Nähe nicht durch Flucht entsteht. Sie entsteht durch Bleiben. Durch gesehen werden und trotzdem da sein. Durch den Mut, sich in den Augen eines anderen zu erkennen und nicht wegzusehen.
Du warst bereit dafür. Sie nicht.
Und das ist der wahre Unterschied.
Joe Turan
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