Männer kommen häufig mit derselben Verwirrung in meine Praxis. Sie sagen mir: „Meine Frau kann beim Sex nicht abschalten. Körperlich ist sie da, aber innerlich ist sie meilenweit weg.“ Sie schauen mich an und warten auf eine Technik oder ein Skript, um das zu reparieren.
Und jedes einzelne Mal stelle ich ihnen die unbequeme Frage:
Bist du sicher, dass das Problem bei ihr liegt?
Wir müssen ehrlich sein darüber, was wir meinen, wenn wir sagen „loslassen“. Es klingt schön. Es klingt wie eine Filmszene mit weichem Licht und perfekter Musik. Aber die Realität ist oft eine ganz andere. Sie liegt vielleicht nackt neben dir, objektiv schön, und trotzdem spürst du die Abwesenheit. Du berührst ihre Haut, aber du berührst sie nicht.
Ich kenne diese Dynamik. Ich kenne sie aus den Tausenden von Paaren, mit denen ich gearbeitet habe. Ich kenne sie aus meiner eigenen Geschichte. Das hier ist kein Text darüber, eine neue Technik zu lernen. Es ist eine Einladung, die Physiologie von Sicherheit zu verstehen und die Architektur des weiblichen Nervensystems, wenn Hingabe nicht möglich ist.
Wir müssen tief gehen. Echt. Roh.
Das System unter Dauerbeschuss
Stell dir ihr Nervensystem wie ein fein justiertes Überwachungssystem vor, das in der „AN“-Position feststeckt. Es nimmt einen permanenten Notzustand wahr. Das ist der Bereich des sympathischen Nervensystems, der biologische Zustand von Kampf, Flucht, Erstarren oder Anpassen.
Wenn sie in diesem Zustand ist, verweigert sie sich dir nicht. Sie überlebt. Ihr System läuft wie ein Computer mit zu vielen offenen Tabs. Der Prozessor überhitzt. In ihrem Kopf läuft ein unaufhörliches Gedankenband: Wie sehe ich aus? Bin ich zu laut? Brauche ich zu lange? Ist die Tür abgeschlossen? Habe ich auf diese E-Mail geantwortet?
Ihr Atem wird flach. Ihr Beckenboden spannt sich an. Ihr Herz schlägt im Rhythmus von Wachsamkeit, nicht von Leidenschaft.
Und du wunderst dich, warum sie sich nicht einfach „entspannen“ kann?
Ihr Körper glaubt, er befinde sich in einem Kriegsgebiet, nicht in einem Schutzraum. Die Evolution priorisiert Überleben vor Fortpflanzung. Wenn ihr Körper Stress wahrnimmt, egal ob durch eine Deadline oder einen Wäscheberg, schaltet er die Bahnen für Lust ab, um Energie für Verteidigung zu sparen.
Betrachte die Architektur ihres Tages. Sie wacht vermutlich mit einer mentalen Last auf, die einen Konzernchef in die Knie zwingen würde. Die Logistik des Haushalts, die emotionale Regulation der Kinder, die Anforderungen ihres Berufs, Arzttermine, soziale Verpflichtungen. Sie bewegt sich durch den Tag in einem Zustand hoher Beta-Gehirnwellenaktivität, Problemlösen, Umsetzen, Managen.
Und dann, um 22 Uhr, fällt sie ins Bett. Du greifst nach ihr und erwartest, dass sie einen Schalter umlegt und zur erotischen Göttin wird.
Sie ist kein Roboter. Sie ist keine Maschine mit einem „Sex-Modus“-Knopf.
Wenn du sie liebst, musst du sehen, was sie trägt.
Frag dich ehrlich: Lädst du ihre Batterie auf oder entleerst du sie?
Bietest du ihr bei der Initiierung von Intimität einen Ort zum Landen an, oder wirst du zu einer weiteren Aufgabe auf ihrer To-do-Liste?
Die Biologie der Sicherheit
Das Gegenmittel gegen ihre Zerstreutheit ist keine bessere Performance. Es ist Sicherheit.
Das Gegenteil von Flucht ist nicht Dominanz. Es ist die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems. Das ist der Zustand von „Ruhe und Verdauung“. Er ist die biologische Voraussetzung für Erregung. Es ist der einzige Zustand, in dem sie wirklich atmen, seufzen, lachen oder weinen kann.
Damit sich ihr System öffnen kann, muss es eine grundlegende Wahrheit verstehen:
Hier gibt es keine Bedrohung.
Keinen Test. Keine Erwartung. Kein Ziel.
Es gibt nur dich. Und sie. Jetzt.
Du hast die Möglichkeit, dieses System über die Sprache der Verehrung zu erreichen. Sag ihr, dass sie schön ist. Nicht nur an Jahrestagen, sondern ständig. Sieh sie. Sieh ihre Haut, ihre Haare, ihre Hüften, die Art, wie sie sich bewegt, wenn sie glaubt, niemand schaut zu.
Viele Frauen tragen eine tiefe, kulturell übernommene Scham über ihren Körper in sich. Ihnen wurde beigebracht, sie seien zu dunkel, zu weit, zu alt, zu asymmetrisch. Wenn du sie mit echter, unverstellter Ehrfurcht ansiehst, beginnst du, diese Geschichte umzuschreiben. Du wirst zu einem Spiegel, der ihr ihre eigene Göttlichkeit zurückzeigt. Das kann sie mehr heilen als zwanzig Jahre Therapie.
Nährung geschieht außerhalb des Schlafzimmers. Sie geschieht in den mikroskopischen Momenten des Tages:
Eine Nachricht mitten im Chaos: „Ich denke an dich. Ich schätze dich.“
Ihr Essen bringen, ohne dass sie darum bitten muss.
Eine Last übernehmen, von der sie nicht wusste, dass sie sie ablegen darf.
Eine Hand auf ihrer Schulter, die nichts fordert, sondern Präsenz anbietet.
Das sind keine Tricks. Das sind energetische Übertragungen. Sie signalisieren ihrem archaischen Gehirn: Ich habe dich. Du darfst ruhen.
Die Stimme-Vagus-Vagina-Verbindung
Das klingt wie eine seltsame biologische Schleife, ist aber reine Anatomie. Der Vagusnerv, die Hauptautobahn des parasympathischen Nervensystems, verbindet den Hirnstamm mit den Stimmbändern, dem Herzen und dem Gebärmutterhals.
Wenn sie ihre Stimme nicht benutzen kann, wenn sie den Atem anhält, wenn sie nicht seufzen kann, bleibt ihr Becken verschlossen. Stille beim Sex ist oft ein Zeichen für eine Abschaltreaktion.
Sie braucht kein Skript aus einem Liebesroman. Sie braucht deine geerdete Stimme. Sie muss dich hören, wie du langsam und ruhig sagst: „Ich bin hier. Du musst nichts tun.“
Oft fungiert ihr Geist als Torwächter. Ich erinnere mich an eine Klientin, die nach außen vollkommen entspannt wirkte, später aber gestand, dass ihr innerer Monolog ohrenbetäubend war. Sie kritisierte ihre eigenen Laute, sorgte sich um das Licht, analysierte den Winkel ihres Kinns. Das ist die Tragödie der sogenannten Zuschauerrolle. Sie beobachtet sich selbst, statt sich zu bewohnen.
Sei der Raum, nicht der Performer
Was ist also deine Rolle?
Hör auf zu performen. Sei der Raum.
Deine Augen, deine Hände, dein Atem, sie liest sie alle. Sie weiß, ob du wirklich bei ihr bist oder ob du ihren Körper benutzt, um zu masturbieren. Sie weiß, ob du Verbindung suchst oder nur Erleichterung.
Und bitte, lass die Fixierung auf ihren Orgasmus los. Wenn du fragst „Bist du gekommen?“ oder „Bist du kurz davor?“, reißt du sie aus ihrem Körper zurück in den Kopf. Du machst Lust zu einer Leistungsbewertung. Du erzeugst Druck.
Sie wird niemals loslassen können, wenn sie spürt, dass ihre Lust nötig ist, um dein Ego zu bestätigen.
Hör auf zu fragen. Hör auf zu drängen.
Lass sie fühlen. Lass sie sein.
Bring Humor ins Bett. Lachen löst Spannung und signalisiert dem Nervensystem Sicherheit. Wenn etwas Unbeholfenes passiert, lacht gemeinsam. Das bricht den Bann des Perfektionismus.
Und sprich über die unsexy Dinge. Verhütung. Eine Frau kann sich nicht dem Unendlichen hingeben, wenn sie Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft hat. Sprich über Schmerz. Sprich über die Pille. Räume den logistischen Ballast weg, damit ihr Geist keinen Haken mehr hat, an dem er seine Angst aufhängen kann.
Die Schwelle der Hingabe
Wahre Öffnung geschieht, wenn sie Erlaubnis spürt.
Die Erlaubnis, seltsam zu sein. Laut zu sein. „Nein“ zu sagen. Zu lachen. Zu weinen.
Wenn sie weiß, dass es keine Konsequenzen für ihre Wahrheit gibt, wird ihr Becken weich. Ihr Atem sinkt in den Bauch. Ihr Herz legt die Rüstung ab.
Plötzlich ist sie da. Ganz.
Nicht für dich. Für sich selbst.
Und das ist der Moment, in dem du sie wirklich berührst. Du berührst keinen Körper mehr. Du berührst eine Seele, die sich sicher genug gefühlt hat, aus ihrem Versteck zu kommen.
Das ist die Arbeit. Es ist ein Prozess, keine Pille. Er verlangt von dir, weniger Pornostar zu sein und mehr Schutzraum.
Weniger Technik. Mehr Nervensystembewusstsein.
Weniger Ego. Mehr Präsenz.
Weniger Erwartung. Mehr Hingabe.
Sei die Stille, zu der sie nach Hause kommen kann.
Joe Turan
🌐 www.joeturan.com
Wenn dir mein Content gefällt, unterstütze mich, indem du mir auf Instagram folgst:
IG: @joeturan1
Hier geht’s zu meinem Profil:
www.instagram.com/joeturan1
Danke 💚
#Beziehungsarbeit #NervensystemRegulation #IntimitätUndSicherheit #BewussteMännlichkeit
Kommentar hinzufügen
Kommentare