
Die meisten Menschen sprechen darüber, wie sehr sie sich persönliches Wachstum wünschen, wie gerne sie tiefer, spiritueller und freier werden möchten – und tatsächlich ist dieses Streben nach Entwicklung, nach Bewusstsein und innerer Befreiung etwas zutiefst Menschliches und Würdevolles –, doch wenn der Prozess dann unbequem wird, wenn es plötzlich nicht mehr um äußere Selbstdarstellung oder inspirierende Zitate geht, sondern um die tägliche Disziplin, ums Dranbleiben, um radikale Ehrlichkeit und vor allem um die Konfrontation mit den eigenen Schatten, dann steigen viele aus.
Es ist, als würde die Bereitschaft, wirklich durch etwas hindurchzugehen, enden, sobald es weh tut, dunkel wird oder kein sofortiges Erfolgserlebnis verspricht, denn was dann oft gesucht wird, sind Abkürzungen – schnelle Lösungen, ein Wochenendseminar oder am liebsten eine Pille, die das tiefe existenzielle Vakuum füllt, das man nicht anschauen möchte.
Man will das Licht – aber ohne durch die Dunkelheit zu gehen.
Man will Heilung – aber ohne Struktur, ohne Verzicht, ohne einsame, leere Nächte.
Man will Transformation – aber ohne den wahren Preis dafür zu zahlen, nämlich sich selbst vollständig und schonungslos zu begegnen.
Dabei ist es so: Das Portal zu jedem nächsten Level deines Lebens führt genau durch die Teile von dir, die du noch immer vermeidest – nicht durch die Anteile, die du bereits in Therapie durchgearbeitet hast, nicht durch die Wunden, über die du inzwischen frei sprechen kannst, nicht durch die Tränen, die du gelernt hast zu zeigen, und auch nicht durch den Schmerz, den du in schöne Worte verpackt hast und den andere nun bewundern.
Es geht vielmehr um jene Aspekte in dir, vor denen du innerlich immer noch wegschaust – die Erinnerungen, die du nie ausgesprochen hast, die Impulse, für die du dich schämst, die Versionen deiner selbst, von denen du glaubst, dass sie dich zerstören würden, wenn du sie wirklich zulässt.
Und genau da beginnt die echte Arbeit – nicht dort, wo du "an dir arbeitest“, sondern dort, wo du aufhörst, vor dir selbst wegzulaufen.
Denn jedes einzelne Level von Intimität, Klarheit, Präsenz, Freiheit, das du dir so sehnlichst wünschst, liegt nicht irgendwo "da draußen“, es wartet nicht in einem Buch, einem Retreat oder einem anderen Menschen auf dich – es wartet hinter einer einzigen, inneren verschlossenen Tür: der Tür, vor der du vielleicht schon dein ganzes Leben lang unbewusst stehst, ohne sie zu öffnen.
Und das Schloss, das sie verriegelt hält, ist dein eigenes Vermeidungsverhalten.
Vielleicht hast du bereits viel getan: du hast geweint, gefühlt, geschrieben, geschrien, dich gezeigt, Workshops besucht, Zeremonien durchlebt, gesprochen, gehalten – und all das war mit Sicherheit real, wichtig, vielleicht sogar heilig.
Doch es reicht nicht.
Denn solange du nur das fühlst, was ohnehin akzeptiert ist, solange du dich auf die Ebenen begibst, wo man dich für dein Fühlen und Heilen applaudiert, solange du dich im emotionalen Lärm verlierst, ohne zum Ursprung vorzudringen umgehst du das Zentrum.
Und dieses Zentrum ruft dich.
Es ruft dich durch Stille.
Denn bevor sich wirklich etwas in deinem Leben verändert, wird es still – nicht weil nichts geschieht, sondern weil alles sich innerlich vorbereitet.
Es ist diese tiefe, unbequeme, stille Leere, die du vielleicht fälschlicherweise als Stillstand interpretierst – doch in Wahrheit stirbt in dieser Leere eine Identität, die dich bis hierher gebracht hat, aber dich nun daran hindert, weiterzugehen.
Es ist nicht der Verlust eines Jobs oder eines Partners, der dich wirklich verletzt – es ist der Verlust der inneren Identität, die du durch diese Beziehung, diesen Beruf oder dieses Lebenserlebnis getragen hast.
Wie C. G. Jung es formulierte: "Der größte Schmerz kommt nicht vom Verlust, sondern vom Loslassen alter Identitäten.“
Was du also betrauerst, ist nicht das, was du verloren hast – sondern die Version von dir selbst, die daran gebunden war.
Und diese Trauer ist kein Rückschritt – sie ist Einweihung.
Doch fast niemand bleibt lange genug in der Stille, um sich wirklich neu zu gebären, denn sobald es unbequem wird, flüchten wir zurück in Drama, Aktivismus, Rollen, Sex, Helfen, Tun – nur nicht in die Stille.
Aber solange du nicht still wirst und dich genau dem stellst, was du vermeiden möchtest, wirst du immer wieder dieselben Muster unter neuen Namen erschaffen.
Denn ja – Ganzheit ist beängstigend, wenn dein Nervensystem Jahrzehnte lang nur Überleben kennt.
Du bist nicht dein Körper.
Dein Körper ist nicht dein Wert, nicht dein Kapital, nicht deine Identität – er ist ein Kommunikationssystem.
Ein fühlendes, weises, erinnerndes System, das dir Botschaften schickt – durch Schmerz, Spannung, Sehnsucht, Lust – und das nur darauf wartet, dass du endlich zuhörst, anstatt es zu kontrollieren, zu optimieren oder zu vermarkten.
Wenn du deinen Körper zum Produkt machst, zum Werkzeug für Anerkennung oder Bindung, verpasst du die eigentliche Botschaft – und entfernst dich weiter von deinem Kern.
Deine Sexualität ist dabei kein nebensächlicher Aspekt – sie ist ein Spiegel.
Sie zeigt dir präzise, ob du in Kontakt bist oder im Kampf.
Wenn sie mit Liebe, Intention, Präsenz und Sicherheit verbunden ist, wird sie zur Medizin.
Wird sie heilig.
Wird sie heilend.
Wenn sie hingegen vom Ego geführt wird, wird sie zur Bühne, zur Maske, zur Ablenkung.
Dann berührst du vielleicht Haut – aber nicht Herz.
Dann nennst du es Freiheit – doch in Wahrheit ist es Trennung.
Heilung beginnt da, wo Performance endet.
Nicht wenn du besser wirst – sondern wenn du echt wirst.
Wenn ein Mensch dich sieht – und bleibt.
Wenn er nicht wegläuft, nicht repariert, nicht analysiert – sondern einfach da bleibt, auch wenn es roh, unangenehm oder verwirrend wird.
Erst dann beginnst du, dir selbst zu vertrauen.
Erst dann brauchst du dich nicht mehr zu beweisen.
Dann darfst du einfach atmen.
Und genau dort wartet die Schuld – nicht laut, sondern leise.
Nicht sichtbar, aber strukturell.
Die Schuld, die du tief in dir trägst, ist oft gar nicht deine.
Sie wurde dir übergeben – von deiner Familie, deiner Kultur, deiner Geschichte, deiner Scham.
Diese Schuld verhindert deinen Empfang.
Sie lässt dich Nähe sabotieren.
Sie bringt dich dazu, das Gute zu zerstören, sobald es sich zeigen will.
Sie flüstert dir ein: „Ich darf das nicht. Ich bin das nicht wert.“
Solange diese Schuld im Schatten bleibt, wirst auch du im Schatten bleiben.
Doch sobald du sie ins Licht bringst – sie benennst – und dir selbst vergibst –
beginnt sich der Knoten zu lösen.
Nicht durch Bücher. Nicht durch Analysen.
Sondern durch Rückkehr – zu dem Teil in dir, den du am meisten gefürchtet hast.
Und dann?
Dann sitzt du da – nicht mehr als Therapeut, nicht mehr als Schüler, nicht mehr als Performer, sondern einfach als Mensch.
Du atmest.
Du schaust hin.
Du betrittst den Raum, den du dein ganzes Leben gemieden hast – und sprichst die Worte:
"Ich werde dich nie wieder verlassen."
Das ist die Schwelle.
Das ist das Portal.
Das ist dein nächstes Level.
Und alles andere ist Flucht.
Joe Turan
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