
Was, wenn unsere Gesellschaft zwar von Sex besessen ist aber gleichzeitig eine panische Angst vor echter Nähe hat?
Wir leben in einer Welt, die ständig SEX schreit. Sichtbar. Verfügbar. Durchdrungen von Bildern, Erwartungen, Pornografie. Unter all dem Lärm bleibt jedoch etwas leiser, verletzlicher, roh – Schmerz. Ein Schmerz, der Scham heißt.
Für viele ist Sex kein Raum der Freiheit, sondern ein Schlachtfeld. Ein Spiegel, eine Maske, ein Rätsel, das niemand entschlüsselt hat. In meiner Arbeit begegne ich Paaren, Singles, Verwundeten und Mutigen. Ich höre die Scham in ihrer Haut, in ihrem Atem, in ihren Orgasmen. Man(n) vermeidet Sex, man jagt ihn wie Flüssigkeit, man spielt ihn, man fürchtet ihn – fast niemand erlebt ihn als wirklich frei.
Doch die Ursache sitzt tiefer: Sex ist nicht gleich Intimität. Penetration ist nicht Nähe. Orgasmus nicht automatisch Verbindung.
Ich habe Paare begleitet, die regelmäßig Sex haben – sich aber seit Jahren nicht mehr wirklich gesehen haben. Menschen mit Hunderten Partnern – die sich nie berührt gefühlt haben.
Sex wird zum Ritual der Vermeidung. Der Körper ist da – das Selbst bleibt verborgen.
Der Ursprung der Scham
Scham beginnt nicht im Schlafzimmer – sie beginnt in der Kindheit. Wir wurden nicht in einer Kultur aufgezogen, die mitten ins Erotische segnet. Die meisten Kulturen verbannten es, bestraften es, verstummten es.
Wir lernten: Begehren ist gefährlich. Lust gehört versteckt. Körper kontrolliert. Viel zu selten hörten wir: Dein Körper ist gut. Deine Lust ist heilig. Dein Verlangen ist kein Makel.
Stattdessen: Schweigen. Spott. Missbrauch. Die leise Stimme, die sagt: "Etwas stimmt nicht mit mir, weil ich das will.“
Doch das Verlangen war nie das Problem. Das Problem ist, dass wir es verleugnet haben. Die Trennung. Die Fragmentierung. Wir spielten Sicherheit – und erstickten innerlich.
Was tief in uns ruft
Hinter jedem sexuellen Akt – ob sanft oder hart, bewusst oder zwanghaft – ruht ein spirituelles Verlangen. Noch mehr als nach Lust sehnen wir uns nach Erinnerung.
Wir wollen uns erfüllt fühlen. Ganz. Schön. Wir wollen uns unschuldig fühlen. Wir wollen die Trennung zurücknehmen.
Was wir Lust nennen, ist oft getarnte Traurigkeit. Was wir Libido nennen, ist Lebensenergie, die nach Hause will.
Doch das Ego – unser überlebensorientierter Verstand – redet weiter: Vergleiche. Performance. Kontrolle. Fordernd. Strebend. Kämpfend.
So entsteht das Paradox: Wir sehnen Nähe – handeln Trennung. Wir verlangen Liebe – benutzen den Körper als Waffe. Wir suchen Gott – misstrauen dem einzigen Tor, das uns hineinbringen könnte.
Der Weg: Wahrheit statt Technik
Wir können Tantra lernen, Techniken studieren, Rituale beherrschen. Doch solange wir verbergen, solange wir Liebe spielen, während wir unsere Scham verbergen, bleibt Sex seelenlos.
Der echte Weg beginnt damit, die Wahrheit zu sagen:
"Ich bin hier. Ungefiltert. Begehren. Verletzlich. Echt.“
Es geht nicht um Heilung oder Perfektion. Es geht um Präsenz. Präsenz statt Performance. Neugier statt Kontrolle. Die Nacktheit der Seele – nicht nur des Körpers.
Das ist Sex, der heilt. Er holt das Nervensystem aus dem Überlebensmodus. Er berührt das Göttliche, ohne den Körper zu verlassen.
Wir wollen nicht mehr SEX – wir wollen Intimität.
Gesehen werden – ohne Spiel.
Gehalten sein – ohne Lüge.
Erotisch sein – ohne Objekt zu sein.
Verletzlich sein – ohne Verlassen zu werden.
Paradoxerweise: Wenn Intimität da ist, entsteht Sexualität fast von selbst. Ohne Intimität bleibt jede Form von Sex leer.
Verlangen ist kein Fehler. Es ist ein Ruf – ein Portal. Doch nur, wenn wir aufhören, es als Ablenkung zu nutzen, wird es transformierend.
Und vielleicht… ist das der Ruf dieser Zeit.
Nicht nach mehr Technik. Nicht nach mehr Ekstase. Sondern nach radikaler Ehrlichkeit. Nach einer Rückkehr in den Körper – nicht als Objekt, sondern als Tempel.
Vielleicht ist der neue Weg kein Weg nach vorne, sondern einer zurück. Zurück zu dem, was wir immer waren: fühlende Wesen. Liebende Wesen. Heilige Wesen.
Und vielleicht braucht es nicht mehr Worte. Sondern Begegnung. Echte, rohe, ungeschützte Begegnung.
Wenn wir bereit sind, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind – dann heilt sich nicht nur unsere Sexualität. Dann beginnt eine ganz neue Beziehung zum Leben selbst.
Nicht mehr aus Scham. Sondern aus Würde.
Joe Turan
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