Glücklich zu sein...

Veröffentlicht am 25. Juni 2025 um 08:58

Ein amerikanischer Geschäftsmann machte Urlaub in einem kleinen Küstendorf in Mexiko, als er einen Fischer sah, der mit seinem kleinen Boot am Steg anlegte. In dem Boot lagen ein paar große Fische.

 

"Warum bist du nicht länger draußen geblieben und hast mehr gefangen?", fragte der Geschäftsmann.

 

"Weil ich genug habe, um meine Familie zu versorgen", antwortete der Fischer.

 

"Aber was machst du mit dem Rest deiner Zeit?"

 

"Ich schlafe aus, fische ein wenig, spiele mit meinen Kindern, mache Siesta mit meiner Frau, spaziere abends ins Dorf, trinke Wein und spiele Gitarre mit meinen Freunden. Ich habe ein erfülltes und beschäftigtes Leben."

 

Der Geschäftsmann lachte.

"Ich habe einen MBA. Ich kann dir helfen. Du solltest mehr Zeit mit Fischen verbringen, ein größeres Boot kaufen, eine Flotte aufbauen, eine Fischfabrik gründen, nach Mexiko-Stadt ziehen, dann nach Los Angeles, später nach New York. Irgendwann bringst du dein Unternehmen an die Börse und verdienst Millionen."

 

Der Fischer schaute verwirrt.

"Und dann?"

 

"Dann könntest du in ein kleines Dorf ziehen, ausschlafen, ein bisschen fischen, mit deinen Kindern spielen, Siesta mit deiner Frau machen, abends ins Dorf spazieren, Wein trinken und Gitarre mit deinen Freunden spielen."

Der Fischer lächelte höflich.

"Mache ich das nicht schon?"

Denn in diesem stillen Austausch steckt eine der schärfsten Kritiken am modernen Leben:

Wir haben eine ganze Zivilisation gebaut, die das Leben auf später verschiebt – nur um es uns irgendwann leisten zu können.

Diese Geschichte erinnert in ihrer Tiefe an Heinrich Bölls "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral". 

 

— Die Umkehrung des Sinns

 

Diese Geschichte verspottet nicht den Ehrgeiz – sie beklagt seine Verkehrung.

 

Der Tagesablauf des Fischers – einfach, sinnlich, verbunden, zyklisch – steht für etwas, das wir verlernt haben zu erkennen:

Leben als Rhythmus, nicht als Performance.

Dasein als Genug, nicht als Streben.

Zeit als Präsenz, nicht als Währung.

 

Irgendwann auf der Zeitachse haben wir alles umgedreht.

Wir begannen zu glauben, dass man sich Ruhe verdienen muss.

Dass Freude geplant werden muss.

Dass unter einem Baum zu sitzen und dem Wind zuzuschauen eine Verschwendung ist – es sei denn, man macht Content daraus.

 

Wir haben eine ganze Ethik des Aufschubs konstruiert.

Nicht weil die Zukunft es verlangt hätte –

sondern weil wir verlernt haben, in der Gegenwart zu wohnen.

 

— Das falsche Versprechen des Fortschritts

 

Ja, wir leben im materiellen Überfluss.

Ja, unsere Vorfahren führten harte, hungrige, brutale Leben.

 

Aber sie lebten im Leben.

Sie gingen zu Fuß, weil es notwendig war.

Sie kochten, weil es keine Lieferdienste gab.

Sie saßen beisammen in langen, unstrukturierten Abenden, weil es keinen Ort gab, an dem man sonst sein wollte.

 

Sie meditierten nicht, um präsent zu werden.

Sie waren präsent, weil es nichts gab, das sie davon ablenkte.

 

In unserem Versuch, das Harte zu eliminieren, haben wir auch die Notwendigkeit eliminiert –

und mit ihr die Rituale, die uns einst in der Realität verankerten.

 

Heute brauchen wir Uhren, die uns sagen, dass wir gegangen sind.

Apps, die uns erinnern zu atmen.

Coaches, die uns beibringen, wie man fühlt.

Fitnessstudios, die die Arbeit unserer Vorfahren simulieren –

Arbeit, die sie einfach lebend erledigten.

 

Wir leben nicht.

Wir simulieren Leben – und versuchen dann, das Gleichgewicht durch kuratierte Wellness zu reparieren, die oft nur eine weitere Simulation ist.

 

Das ist keine Dystopie.

Das ist der Standard.

 

— Das verkaufte Geburtsrecht

 

Wir haben Präsenz gegen Produktivität getauscht.

Tiefe gegen Geschwindigkeit.

Verbindung gegen Effizienz.

 

Und wir haben es so langsam, so clever getan, dass wir es jetzt "Freiheit" nennen.

 

Wir träumen davon, Land zu kaufen, um Tomaten anzubauen –

aber erst, nachdem wir unsere besten Jahre in einem Bürostuhl verbracht haben.

Wir fantasieren von Hütten, Feuerholz, langsamem Leben –

aber erst, wenn das Imperium steht, die Schulden bezahlt und der Exit geschafft ist.

 

Kurz gesagt:

Wir tauschen Sein gegen Verdienen – und geben das Verdiente aus, um unser verloren gegangenes Sein zurückzukaufen.

 

Wir haben eine spirituelle Ökonomie erschaffen –

in der Ruhe, Freude, Bewegung, Stille und Verbindung jetzt Produkte sind.

 

Nicht Geburtsrechte.

Produkte.

 

— Die Last des Abstrakten

 

Das moderne Leben ermüdet nicht nur den Körper –

es verwirrt die Seele.

 

Denn die Kämpfe, die wir heute führen – E-Mails, Deadlines, Relevanz, Branding –

sind abstrakt.

 

Kein Blut darin. Keine Erde. Keine Sonne.

Sie lösen sich nicht. Sie akkumulieren.

Sie nähren nicht. Sie verbrauchen.

 

Und unser Nervensystem spürt das.

Es kennt keine soziologischen Theorien.

Aber es kennt das Reale.

 

Und es weiß: Das hier ist es nicht.

 

Deshalb sind so viele Menschen nicht nur müde, sondern leer.

Nicht nur überfordert, sondern entkörperlicht.

 

Wir haben das Materielle gelöst –

aber das Metaphysische verloren.

 

— Der Trugschluss Ruhestand

 

Sogar unsere Lebensstruktur ist ein Ritual des Aufschubs.

Wir packen das Leiden an den Anfang und nennen es Investition.

Wir verschieben Freude und nennen es Verantwortung.

Wir behandeln das Leben als Belohnung fürs Arbeiten – nicht als seinen Sinn.

 

Die meisten Menschen arbeiten ihr ganzes Leben lang hart für eine "gute Rente" –

und vergessen dabei, überhaupt zu leben.

 

Wir verwechseln finanzielle Sicherheit mit existenzieller Erfüllung.

Wir investieren unsere vitalsten, lebendigsten Jahrzehnte in eine Zukunft –

die wir dann vielleicht zu müde, zu krank oder zu entfremdet sind, um sie zu genießen.

 

Der Ruhestand wird zur Fata Morgana am Horizont.

Immer voraus. Nie jetzt.

 

Es ist der moderne Mythos der Erlösung:

Leide jetzt – und vielleicht, wenn du es schaffst, darfst du irgendwann sein.

 

Aber dann tun uns die Gelenke weh.

Die Freundschaften sind verblasst.

Und unser Inneres – jahrzehntelang ignoriert – weiß gar nicht mehr, wie man Freude dehnt.

 

Niemand sagt uns, dass das vielleicht der größte Verlust ist.

 

— Die Rebellion der Rückkehr

 

Was nun?

 

Wir müssen nicht Technologie oder Wohlstand oder Ehrgeiz ablehnen.

Aber wir müssen uns neu verwurzeln.

 

Es geht nicht darum, in der Zeit zurückzugehen –

sondern um die Wiedereinbettung in sie.

 

Es geht darum, Sein wieder nicht verhandelbar zu machen.

 

Fang klein an.

Nicht mit Optimierung oder Morgenroutinen,

sondern mit ontologischen Akten des Widerstands:

 

– Geh langsam. Ohne Ziel. Lass die Zeit sich ausdehnen.

– Koche etwas von Grund auf. Lass deine Hände sich erinnern.

– Berühre die Erde. Ohne Gartenhandschuhe.

– Sprich mit jemandem, ohne zu reparieren oder zu performen.

– Lass Stille in deinen Tag. Nicht als Werkzeug – als Wesen.

– Ruhe dich aus, ohne sie zu optimieren.

 

Das sind keine ästhetischen Spielereien.

Es sind Aktionen der Rückeroberung in einer Kultur,

die dich abgelenkt, entfremdet und ständig leicht unzufrieden haben will.

 

— Die vergessene Gemeinschaft

 

Die Lösung liegt nicht im Individuum.

 

Ein Fischer kann so leben, weil er eingebettet ist.

Sein Rhythmus spiegelt sich im Land, im Dorf, in den sozialen Geweben.

 

Wir müssen diese Gewebe neu knüpfen.

 

Nicht durch Theorie – sondern durch geteilte Praxis:

Kreise. Küchen. Feuerstellen. Gärten. Lange Spaziergänge. Leise Abende.

 

Denn keiner heilt diese spirituelle Armut allein.

Und niemand sollte es müssen.

 

— Stelle tiefere Fragen

 

Nicht:

– Wie kann ich produktiver sein?

– Wie kann ich meine Zeit besser skalieren?

 

Sondern:

– Was habe ich zur Option gemacht, das heilig sein sollte?

– Was schiebe ich auf, bis ich zu müde bin, es zu empfangen?

– Was würden meine Vorfahren betrauern, wenn sie sehen, was ich heute "Erfolg" nenne?

 

Frag nicht, was die Zukunft von dir will –

frag, was die Gegenwart dich erinnert zu leben.

 

Der Fischer war kein Gleichnis.

Er war eine Warnung.

 

Er ist der Teil in dir, der noch weiß.

Noch erinnert.

Noch verweigert, eine Leiter zu erklimmen,

die nur dorthin zurückführt,

wo du längst warst –

bevor du dich verloren hast.

 

Deshalb frage ich dich heute:

 

Was schiebst du auf?

Und was würde es bedeuten, nicht länger zu warten?

 

Manchmal verpassen wir das Leben, weil wir zu sehr mit dem Streben nach "mehr" beschäftigt sind.

 

Es ist eine Erinnerung daran, das zu würdigen, was wirklich zählt – und unser Glück, unsere Zeit, unsere freie Existenz nicht zugunsten eines übermäßigen Ehrgeizes zu opfern.

 

Joe Turan 

🌐 www.joeturan.com

 

Wenn dir mein Content gefällt, unterstütze mich, indem du mir auf Instagram folgst:

 

IG: @joeturan1

 

Hier geht’s zu meinem Profil:

www.instagram.com/joeturan1

 

Danke 💚

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.