Warum sich Alkohol bei ADHS anders anfühlt?

Veröffentlicht am 22. Juli 2025 um 08:16

Hast du jemals bemerkt, dass Alkohol bei dir anders wirkt: oder dass du einfach nicht bei einem Drink aufhören kannst wie andere? Dafür gibt es tatsächlich einen biologischen Grund. Lass uns darüber sprechen.

 

Heute geht es darum, wie Alkohol das Gehirn von Menschen mit ADHS beeinflusst. Wenn du trinkst, beginnt Alkohol sofort damit, die chemischen Botenstoffe deines Gehirns also die Neurotransmitter durcheinanderzubringen. Die fünf, um die es hier geht, sind:

GABA

Glutamat

Dopamin

Serotonin

Histamin

 

Fangen wir mit GABA an. Ich nenne GABA gern das "Beruhigungs-Chemikal". Alkohol schüttet GABA aus. Deshalb fühlst du dich etwas entspannter, wenn du trinkst. Gleichzeitig unterdrückt er einen Neurotransmitter namens Glutamat: das ist wie dein "Einschaltknopf". Wenn Glutamat unterdrückt wird, kann das deine Reaktionszeit verlangsamen. Deine Zeitwahrnehmung verändert sich. Genau das passiert.

 

Interessanterweise haben Menschen mit ADHS bereits Auffälligkeiten im Glutamat-Stoffwechsel ihres Gehirns. Das entsteht oft durch chronischen Stress. Und mal ehrlich: mit einem ADHS-Körper in dieser Gesellschaft zu leben ist dauerhaft stressig. Da gestörter Glutamat-Stoffwechsel bei ADHS häufig ist, und er mit Aufmerksamkeit, Gedächtnisproblemen und Grübeln in Verbindung steht, macht es Sinn, dass viele Menschen mit ADHS berichten, sich beim Trinken sogar kontrollierter zu fühlen. Während andere das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, scheint es bei uns manchmal das Gegenteil zu bewirken: wir fühlen uns fokussierter, klarer, wacher.

 

Dann kommt Dopamin. Das ist der Botenstoff für Belohnung und Motivation, und wenn du ADHS hast, hast du vermutlich schon zu oft davon gehört. Alkohol löst einen sehr schnellen und starken Dopamin-Schub im Belohnungszentrum des Gehirns aus. Menschen mit ADHS haben ohnehin meist einen dysregulierten oder niedrigen Dopaminspiegel. Dieser Schub kann wie Erleichterung wirken. Plötzlich sind wir reguliert. Plötzlich präsent. Plötzlich motiviert, Dinge zu tun, die wir ewig aufschieben. Es ist, als würden wir zum ersten Mal auf demselben Dopamin-Level funktionieren wie der Rest der Welt. Während Neurotypische sich also endlich entspannen, haben wir das Gefühl, wir könnten endlich unser Chaos beseitigen, die Wohnung putzen, unser Leben in die Hand nehmen.

 

Dann ist da noch Serotonin. Alkohol erhöht vorübergehend auch den Serotoninspiegel: der Botenstoff für Stimmung, Schlaf, Impulskontrolle und Belohnungsverarbeitung. Deshalb fühlen wir uns nach ein paar Drinks oft selbstsicherer, entspannter, liebevoller. Das ist Serotonin. Viele Menschen mit ADHS haben ohnehin Schwierigkeiten, mit ihrem Körper und ihren Gefühlen in Verbindung zu treten. Dieser Serotonin-Schub kann sich daher fast befreiend anfühlen. Vielleicht sogar mehr als bei Neurotypischen.

 

Und schließlich gibt es da noch Histamin: ein Thema, das beim Alkohol selten besprochen wird. Alkohol regt dein Gehirn und deinen Körper an, mehr Histamin auszuschütten. Gleichzeitig blockiert er ein Enzym namens Diaminoxidase: das ist dafür da, Histamin abzubauen. Wenn du histaminempfindlich bist oder zu Entzündungen neigst was bei ADHS häufig der Fall ist kann das zu Schlafstörungen, Überreizung und Reizbarkeit führen. Alles Symptome, die bei ADHS ohnehin schon oft vorhanden sind, auch ohne Alkohol. In diesem Sinne kann Alkohol dich sogar noch schlechter fühlen lassen als einen Neurotypischen.

 

Jetzt denkst du dir wahrscheinlich: Klingt, als wäre Alkohol die perfekte Medizin abgesehen vom Histamin. Genau deshalb trinken viele mit ADHS: Es ist eine Form der Selbstmedikation. Leider verschlimmert Alkohol ADHS langfristig, im Gegensatz zu echter Medikation. Lass uns über diesen Teil sprechen. Es macht vielleicht nicht so viel Spaß, das zu hören, aber du bist bis hierher gekommen du schaffst den Rest auch.

 

Okay. Halte durch, jetzt kommt eine Metapher. Stell dir Alkohol vor wie Essen zum Mitnehmen. Wenn wir überfordert sind, ist es viel einfacher, Essen zu bestellen, als selbst zu kochen. Und im Moment kann das sogar helfen immerhin hättest du sonst vielleicht gar nichts gegessen. Aber wenn du nie herausfindest, warum du Essen bestellt hast, sei es wegen Stress, oder weil dein Exekutivfunktionieren gestört war, oder weil nichts im Kühlschrank dich anspricht oder zu viel Aufwand bedeutet dann wird Takeout zur Gewohnheit. Und plötzlich bestellst du fast jeden Tag.

 

Jetzt stell dir die Neurotransmitter als das Essen in deinem Kühlschrank vor. Wenn du ständig Essen bestellst, brauchst du weniger Lebensmittel zu Hause. Genau das merkt sich dein Gehirn auch. Weil es seine Neurotransmitter ständig von außen bekommt, stellt es sich darauf ein. Es produziert weniger Dopamin, Serotonin und Co. Und es wird auch weniger empfindlich für das, was noch da ist. So wie Takeout irgendwann besser schmeckt als dein selbst gekochtes Essen. Und plötzlich ist dein Kühlschrank fast leer, mit Resten von letzter Woche.

 

Die gute Nachricht: Dein Gehirn kann sich neu regulieren. Es fängt an, wieder "Lebensmittel" zu kaufen sprich: Neurotransmitter zu produzieren. Und mit der Zeit schmeckt das wieder besser. Aber es dauert. Manchmal sehr lange. Wie lange hängt davon ab, wie leer dein System war und ob du Menschen hast, die dich beim "Einkaufen" unterstützen, beim Planen, Kochen oder einfach beim Zusammensitzen und gemeinsam Essen.

 

Für manche dauert es ein Jahr, bis sich Dopamin, Serotonin und die Rezeptorempfindlichkeit normalisieren. Für andere drei Monate. Es hängt davon ab, wie oft und wie viel du getrunken hast. Aber genauso wie sich ADHS oft verbessert, wenn wir regelmäßig essen und auf nährstoffreiche Kost achten, wird es auch leichter, damit umzugehen, wenn wir Alkohol reduzieren oder streichen.

 

Ich muss auch sagen: Es gibt leider strukturelle Veränderungen im Gehirn durch Alkohol, die sich nicht komplett rückgängig machen lassen. Deshalb ist es so wichtig, sich bewusst zu machen, wie sehr diese Substanz uns langfristig beeinflussen kann. So kannst du die informierte Entscheidung treffen, was wirklich gut für dich ist, idealerweise in Richtung Verzicht oder Reduktion.

 

Das heißt natürlich nicht, dass es leicht ist. Vor allem nicht mit ADHS. Aber möglich ist es.

 

Joe Turan 

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