
Wenn sich dir jemand nähert, dich sieht, wie erschöpft du bist, wie du dich zurückziehst, wie du lebst, als wärst du im Dreck gefangen, und dir dann sagt: "Du musst dich dem stellen. Du musst deine Gefühle spüren. Du musst den Schmerz, die Wut, alles, was in dir steckt, rauslassen“, dann versteht er nicht, wie schwer das für dich ist. Aber wenigstens du selbst solltest verstehen, warum es so schwer für dich ist.
Hör zu. Wenn du anfängst, dir Raum zu geben, um dich auszudrücken, um das, was wirklich in dir vorgeht, zu fühlen und zu sagen, dann passiert das nur, wenn du dich sicher fühlst. Aber warum vermeiden wir es so oft, zu fühlen? Und warum bauen wir eine falsche Identität auf? Weil in unserem Nervensystem ganz tief ein brutales Gefühl von Unsicherheit gespeichert ist. Ein Gefühl der Angst, das aus der Kindheit stammt. Wir waren kleine Kinder, die ihre Gefühle ganz offen gezeigt haben, und wurden dafür bestraft. Dafür, dass wir gefühlt haben. Dafür, dass wir Raum eingenommen haben mit unserem Schmerz, unserer Wut, unserer Trauer.
Also haben wir gelernt, dass wir, wenn wir emotional überleben wollen, alles vermeiden müssen, was uns wütend macht, uns Angst einjagt oder traurig werden lässt. So bist du aufgewachsen mit einem Nervensystem, das immer noch glaubt, du wärst ein kleines Kind. Es glaubt, dass du stirbst, wenn du heute fühlst oder dich zeigst, obwohl das längst nicht mehr wahr ist.
Deshalb ist es ganz natürlich, dass es so schwer ist, überhaupt damit anzufangen. Wenn du dich heute zeigst, wenn du nach Jahren plötzlich deine Stimme erhebst, eine Stimme, die du so lange unterdrückt hast, dann wird es sich anfühlen wie ein innerer Krieg. Dein Körper wird die ganze Zeit unter Hochspannung stehen. Körper und Gehirn sind miteinander verbunden. Dein Körper ist der erste Schutzmechanismus gegenüber jeder Form von Bedrohung.
Du wirst merken, wie dein Körper sich zusammenzieht, sich verspannt und schützt, weil er glaubt, dass der nächste emotionale Schmerz tödlich ist. Deshalb ist es so schwer, am Anfang. Aber genau hier liegt der Punkt: Erinnere dich daran. Halte das aus. Du wirst viele kleine Situationen durchleben, eine nach der anderen, und plötzlich merken, dass die Welt gar nicht untergeht. Die Katastrophen, die du so sehr befürchtet hast, passieren gar nicht. Du bist einfach ein Mensch wie alle anderen auch. Und selbst wenn du scheiterst oder dich Menschen verlassen, ist das okay. Das ist das Leben. Und du bist trotzdem gut, so wie du bist.
Dann sammelst du Stück für Stück kleine Erfahrungen von Sicherheit. Wie ein Update für dein Nervensystem. Du sagst ihm: „Schau, wir sind keine Kinder mehr. Wir gehen durch Situationen. Wir leben noch. Wir stehen aufrecht. Es ist nichts passiert.“ Dein angespannter Körper beginnt sich zu fragen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Das Zittern, die Enge und der Druck beginnen langsam zu verschwinden.
Du gehst in Situationen, die dich früher zerrissen haben, und merkst, dass du offener bleibst, dass mehr Raum da ist. Dieses Gefühl von Erleichterung ist ein Zeichen dafür, dass deine körperlichen Schutzmauern etwas weicher geworden sind. Dein Körper erkennt, dass dieser Raum nicht gefährlich ist. Hier droht kein Verlust von Wert oder Leben.
Natürlich gibt es auch neue Situationen, in denen dein Körper sich wieder anspannt, weil dort noch alte Wunden und ungelöste Ängste sind. Und ja, am Anfang wirst du erschöpft sein. Du bringst deinem Nervensystem gerade bei, dass es nicht mehr im Krieg ist. Dass du nicht mehr um dein Überleben kämpfen musst. Nicht durch Flucht, nicht durch Unterwerfung und auch nicht durch ständige Wut auf andere. Nur damit dich niemand sieht, wie du wirklich bist, und dich dann verletzt.
Es ist schwer. Es ist notwendig. Du musst fühlen. Du musst dir selbst glauben, dass du nicht mehr dieses kleine Kind bist, dessen Leben früher aus Angst, Scheitern und Schmerz bestand.
So einfach ist das. So schwer. Und so heilend.
Joe Turan
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