
Die meisten Menschen denken, wenn wir Religion verlieren, verlieren wir auch die Magie. Doch je tiefer ich in das eintauche, was die Wissenschaft über das Bewusstsein entdeckt, desto geheimnisvoller fühlt sich die Realität an. Nicht wegen Mythen oder Glauben, sondern weil die Daten selbst auf etwas hinweisen, das seltsamer ist, als alles, was ich jemals geglaubt habe.
Jahrzehntelang behandelte die Mainstream-Wissenschaft das Bewusstsein als einen späten evolutionären Trick komplexer Gehirne. Man dachte, Bewusstsein entstehe, sobald Materie sich zu etwas Komplexem organisiert, wie wir es sind, fähig, über sich selbst nachzudenken. Alles andere Steine, Pflanzen, Elektronen galt als leblos. Ohne Bewusstsein. Und wenn ein Lebewesen seinen inneren Zustand nicht selbst mitteilen konnte, wurde es vollständig außerhalb des Kreises der Erfahrung platziert.
Diese Sichtweise ändert sich. Langsam, aber unübersehbar. Forscher, die die Natur des Bewusstseins untersuchen, stoßen immer wieder auf die gleiche Wand. Wenn wir alles auf Materie und physikalische Wechselwirkungen reduzieren, bleiben wir mit einem Rätsel zurück, das nicht verschwindet. Warum sollte Materie, in welcher Kombination auch immer, ein inneres Erleben haben? Warum gibt es ein "Innen“ der Erfahrung? Wir können das Feuern von Neuronen beschreiben. Wir können elektrische Muster im Gehirn verfolgen. Doch der Sprung vom Mechanismus zum subjektiven Erleben bleibt unerklärt.
Dieses Rätsel, bekannt als das "harte Problem des Bewusstseins“, hat die Tür zu etwas Radikalem geöffnet: Bewusstsein könnte nicht aus Materie entstehen. Es könnte sein, dass Bewusstsein bereits vorhanden ist, so fundamental wie Raum, Zeit, Energie und Materie selbst. In dieser Sichtweise ist alles in einem gewissen Grad bewusst. Nicht nur Tiere, nicht nur Organismen, sondern die Bausteine der Natur selbst haben eine Form von Erfahrung. Dies wird als Panpsychismus bezeichnet.
Dieser Gedanke kann sich anfangs fremd anfühlen. Menschen stellen sich einen bewussten Stein oder ein bewusstes Elektron vor und es wirkt absurd. Doch der Panpsychismus behauptet nicht, dass Elektronen über ihre Kindheit nachdenken oder Philosophie betreiben. Er sagt, dass es auf jeder Ebene eine primitive Form von Erfahrung gibt und dass das, was wir als menschliches Bewusstsein betrachten, eine hochkomplexe Organisation dieser primitiven Erfahrungen ist. Mit anderen Worten: Bewusstsein ist kein Produkt allein der Komplexität. Komplexität formt und organisiert Erfahrung, erschafft sie aber nicht aus dem Nichts.
Einer der überraschenderen Stimmen, die diese Idee untersuchen, ist Federico Faggin, der Physiker, der den ersten Mikroprozessor und das Touchpad entwickelt hat. Sein Leben begann in der harten Wissenschaft, der Ingenieurkunst und der Berechnung. Er glaubte, wie viele andere, dass wir mit genügend Raffinesse Maschinen bauen könnten, die wirklich bewusst sind. Jahrzehnte später änderte er seine Meinung. Er kam zu dem Schluss, dass Mathematik selbst aus Bewusstsein entsteht, nicht umgekehrt, und dass Erfahrung nicht vollständig auf Berechnung reduziert werden kann.
Das führt zu einer noch tieferen Konsequenz: Wenn Bewusstsein grundlegend ist, dann ist das Selbst, das du erlebst, nicht so stabil oder einheitlich, wie es sich anfühlt. Die Neurowissenschaft zeigt, dass Erinnerung in jedem Moment rekonstruiert wird, nicht einfach abgespielt. Das Gefühl eines „Ich“, das sich durch die Zeit bewegt, ist ein fortlaufender kreativer Akt des Gehirns, kein ungebrochener Faden. Das Selbst ist eher eine Geschichte, die in Echtzeit erzählt wird, als ein festes Objekt. Diese Erkenntnis kann, wenn sie tief empfunden wird, destabilisierend sein. Sie kann sogar der Desorientierung einer Ego-Auflösungserfahrung ähneln. Plötzlich fühlt sich der Körper wie ein System von Prozessen an und nicht wie eine feste Identität, eine Ansammlung von Atomen, die sich kontinuierlich verändern, entstehen und vergehen.
Wenn Bewusstsein grundlegend ist, dann sind wir keine isolierten Wesen, die Erfahrung in unseren Schädeln erzeugen. Unsere Körper können wie Drohnen arbeiten, Eingaben und Ausgaben verarbeitend, aber das Bewusstsein, das die Erfahrung macht, ist nicht an den physischen Körper gebunden. Es ist Teil eines größeren Feldes. Das, was wir Geist nennen, könnte überhaupt nicht im Kopf sein.
Aus dieser Perspektive bekommt die lange Geschichte spiritueller Traditionen einen anderen Ton. Die Idee einer ultimativen Realität, die sich selbst erkennen will, erscheint nicht als mystische Poesie, sondern als natürliche Ausdrucksform bewusster Systeme. Wenn das Universum grundlegend bewusst ist, dann ist der Drang zu wissen, zu erforschen, zu leiden und zu fragen, keine menschliche Eigenart. Es ist das Universum, das sich selbst durch uns bewusst wird.
Das führt uns zu einem tiefen ethischen Punkt. Maschinen, so wie wir sie derzeit verstehen, wollen nichts. Sie funktionieren durch Algorithmen und vordefinierte Zustände. Bewusstsein hingegen bringt die Möglichkeit von Verlangen, Wahl und freiem Willen mit sich. Diese selbstevidente Erfahrung – „Ich bin mir bewusst, ich wähle“ – wird zum Ausgangspunkt, nicht zu etwas, das man weg erklären muss.
Der Geist ist daher kein Rätsel, das gelöst wird, indem man eine magische neuronale Anordnung findet, die Erfahrung einschaltet. Er ist ein Phänomen, das in der Struktur des Daseins selbst verankert ist. In dieser Sichtweise sind die physische Welt und die Welt der Erfahrung zwei Ausdrucksformen derselben zugrunde liegenden Realität. Wenn diese Realität komplex genug wird, erzeugt sie Systeme, die sich einheitlich anfühlen, wie ein einziges Selbst. Aber diese Einheit ist selbst nur ein Anschein. Auf einer tieferen Ebene ist alles Prozess, verändert sich von Moment zu Moment, ist miteinander verbunden und dynamisch.
Hier beginnen Wissenschaft und Spiritualität, sich einander anzunähern, nicht als konkurrierende Erklärungen, sondern als unterschiedliche Sprachen, die dasselbe Geheimnis beschreiben. Die Wissenschaft bringt Klarheit, Strenge und ein Bedürfnis nach Beweisen. Die Spiritualität bringt die direkte Erforschung des Bewusstseins und die Erkenntnis, dass Erfahrung selbst primär ist. Zusammen führen sie uns in einen Raum der Demut. Je tiefer wir schauen, desto mehr erkennen wir, dass wir nicht vollständig verstehen, was wir sind. Doch hier sind wir, bewusst, fragend, angetrieben von demselben Impuls, der das menschliche Denken seit Jahrtausenden geprägt hat: uns selbst zu erkennen.
Joe Turan
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