
Wenn ich jemandem begegne, zu dem ich mich hingezogen fühle, will ich nicht sofort reden. Ich will mit der Person sitzen. Nicht gegenüber am Tisch, wo man Fakten und Stories austauscht, sondern neben ihr. Still. Ohne Eile. Langer Blickkontakt. Nichts zu beweisen. Keine Agenda, die abgearbeitet werden muss.
So erkenne ich, ob jemand wirklich da ist. Ob er die Unruhe aushält, nicht die Kontrolle zu haben. Ob er atmen kann, ohne sich darzustellen. Ob er Raum teilen kann, ohne ihn zu vereinnahmen.
Die meisten können das nicht. Stille macht sie nervös. Sie hetzen, um sie zu füllen. Ein Witz, eine Frage, ein Kommentar irgendetwas, um dieser rohen Stille zu entkommen. Aber für mich ist genau das der eigentliche Test. Wer bist du, wenn nichts passiert? Keine Reize, keine Show, keine Worte. Nur dein Körper, dein Atem, deine Präsenz. Kannst du bleiben? Oder flüchtest du?
In Japan gibt es dafür ein Wort: oyakake bukaeru die Stille neben jemandem. Die Art von Stille, die nicht aus Wut oder Peinlichkeit entsteht. Sondern aus Frieden. Aus dem unausgesprochenen Wissen, dass nichts hinzugefügt werden muss. Dass deine bloße Anwesenheit genügt.
Im Westen wird Stille oft gefürchtet. Pathologisiert. Behandelt wie eine Lücke, die gefüllt werden muss. Aber in Japan ist Stille Tiefe. Emotionale Reife. Vertrauen.
Und Liebe dort? Bedeutet nicht ständige Nähe. Es geht nicht ums Verschmelzen. Paare schlafen oft in getrennten Zimmern. Machen getrennte Urlaube. Haben ganze Lebensbereiche, in die der Partner nicht involviert ist. Und es funktioniert nicht, weil sie sich nicht kümmern, sondern gerade weil sie es tun. Sie versuchen nicht, die Freiheit des anderen zu besetzen. Sie verwechseln Nähe nicht mit Kontrolle.
Glück ist nichts, das man vom Partner einfordert. Es ist etwas, das man mitbringt. Durch die eigene Erdung. Durch die Fähigkeit, den anderen einfach sein zu lassen. Deshalb halten Beziehungen dort oft länger. Es gibt weniger Zusammenbrüche. Weniger Burnout. Weil sie nicht auf Konsum oder Abhängigkeit aufgebaut sind. Sondern auf Respekt. Auf leiser Fürsorge. Auf dem Nichtbedürfnis, jeden Moment mit Lärm zu füllen.
Das ist die Intimität, die ich will. Eine, in der Stille keine Bedrohung ist. Das ist die Art von Liebe, die ich will. Eine, in der Stille ein Dialog sein kann. In der Raum kein Straflager ist. In der sich anzusehen, ohne zu sprechen, das Intimste ist, was wir den ganzen Tag tun.
Joe Turan
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