Vulva shaming

Veröffentlicht am 6. Dezember 2025 um 16:53

Vulva Shaming. Warum so viele Frauen ihren Körper falsch sehen und wie wir das verändern können

 

Viele Frauen tragen eine stille Last mit sich. Sie liegt nicht im Kopf, sie liegt zwischen den Beinen. Schmerzen entstehen dort nicht durch Krankheit, sondern durch Scham. Diese Scham ist so verbreitet, dass sie kaum noch auffällt. Und genau das macht sie gefährlich.

 

Ich arbeite seit Jahren als Tantra-Masseur, Sex- und Beziehungstherapeut. Ich sehe Frauen nackt, verletzlich, neugierig, angespannt, unsicher, hoffnungsvoll. Ich höre ihre Worte und ich spüre, was zwischen den Worten mitschwingt. Immer wieder höre ich die gleichen Sätze.

 

„Meine Vulva ist nicht schön.“

„Ich schäme mich für mein Aussehen dort unten.“

„Ich habe Angst, dass mein Partner sie unattraktiv findet.“

 

Diese Sätze zeigen einen tiefen Riss im Verhältnis vieler Frauen zu ihrem eigenen Körper. Es ist kein persönliches Problem. Es entsteht in einer Kultur, die weibliche Sexualität seit Jahrhunderten kontrolliert, bewertet und normiert. Heute geschieht das mit Bildern, Filtern und Pornostandards, die kaum jemand hinterfragt. Das Ergebnis ist ein verzerrter Blick auf etwas, das eigentlich Vielfalt feiert.

 

Die meisten Darstellungen, die wir sehen, zeigen eine glatte, hellrosa, symmetrische „Standardvulva“. Sie wirkt unscheinbar. Sie wirkt perfekt. Sie ist ein Produkt von Bildbearbeitung, engen Kameraeinstellungen und Auswahlprozessen, die nichts mit echter Anatomie zu tun haben. Und trotzdem prägt sie das Schönheitsideal.

 

Frauen beginnen zu glauben, ihre eigenen Vulvalippen seien zu groß, zu dunkel, zu klein, zu asymmetrisch. Viele haben nie gelernt, Vulven in ihrer Vielfalt zu sehen. Sie glauben, die eigene sei eine Abweichung. Dabei ist sie Realität. Eine Realität, die unzählige Formen kennt und die ganz normal ist.

 

Diese Scham hat weitreichende Folgen. Sie beeinflusst die Sexualität direkt. Eine Frau, die sich unwohl fühlt, zieht sich innerlich zurück. Sie kann Lust schwer zulassen. Ihr Kopf kreist um Aussehen, Geruch, Proportionen, Ablenkung. Der Körper setzt Grenzen, die vorher nicht da waren. Intimität verliert Tiefe, weil Unsicherheit Raum bekommt. Manche Frauen meiden bestimmte Praktiken komplett. Manche vermeiden Blickkontakt mit ihrem Partner, sobald sie nackt sind. Andere überlegen Operationen, die nichts mit medizinischer Notwendigkeit zu tun haben.

 

Labioplastiken steigen jedes Jahr. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Immer mehr Frauen lassen sich Teile ihrer Vulvalippen verkleinern. Der Grund dafür ist selten körperlicher Schmerz. Er ist fast immer Unsicherheit. Eine Unsicherheit, die wir kollektiv erzeugen, indem wir unrealistische Körper idealisieren und echte Körper verschweigen.

 

Dabei ist die Anatomie der Vulva ein Wunderwerk. Vulvalippen schützen Nerven, regulieren Feuchtigkeit, reagieren auf Erregung, speichern Wärme, verstärken Lust. Jede Form trägt Funktionen. Jedes Detail hat seinen Sinn. Eine Operation verändert nicht nur das Aussehen. Sie kann Empfindungen verändern. Manche Frauen spüren weniger. Andere verlieren Berührungssensibilität. Oft wird darüber kaum gesprochen, weil viele Kliniken den Eingriff als einfache „ästhetische Korrektur“ verkaufen.

 

In Gesprächen mit Frauen wird deutlich, wie tief diese Unsicherheiten reichen. Manche sind überzeugt, sie seien die einzigen, deren Vulva „anders“ aussieht. Manche entschuldigen sich, bevor sie sich zeigen. Manche erwarten Ablehnung, bevor irgendjemand etwas gesagt hat. Diese innere Haltung trennt sie nicht nur von anderen Menschen, sondern auch von sich selbst.

 

Es gibt Wege, diese Sicht zu verändern. Der erste Schritt ist, sich selbst anders zu betrachten. Nicht kritisch, sondern neugierig. Ein Spiegel kann ein Werkzeug der Befreiung sein. Viele Frauen sehen ihre Vulva zum ersten Mal bewusst erst in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Sie kennen jedes Detail ihres Gesichts, aber nicht das Zentrum ihrer Sexualität. Wer hinsieht, erkennt Vielfalt. Farbe, Form, Struktur. Nichts daran ist falsch.

 

Der zweite Schritt ist, neue Bilder zuzulassen. Projekte wie The Vulva Gallery oder Arbeiten von Künstlerinnen wie Gloria Dimmel zeigen echte Vulven. Unterschiedliche Farben, unterschiedliche Größen, unterschiedliche Formen. Wer diese Bilder kennt, erkennt sich selbst darin wieder. Scham verliert an Kraft, wenn Realität sichtbar wird.

 

Auch Gespräche spielen eine große Rolle. Partner können Sicherheit schenken, indem sie ehrlich und wertschätzend kommunizieren. Frauen berichten mir oft, dass die Unsicherheit nicht durch Männer entsteht, sondern durch eigene Vorstellungen. Männer sehen selten das Problem, das Frauen in sich tragen. Viele sind dankbar für Intimität, Präsenz, Berührung. Die Selbstkritik kommt von innen, nicht von außen.

 

Manchmal liegt die Scham jedoch tiefer. Sie entsteht aus alten Erfahrungen, Prägungen, verletzenden Kommentaren oder fehlender Aufklärung. Dann hilft es, therapeutisch daran zu arbeiten. Körperorientierte Arbeit kann helfen, Vertrauen zurückzugewinnen. Ein sicherer Raum, in dem eine Frau gehalten wird, ohne Bewertung, ermöglicht neue Erfahrungen. Der Körper entspannt sich. Die Wahrnehmung verändert sich. Das Nervensystem lernt, nicht in Scham zu fallen, sobald Intimität entsteht.

 

Ein gesellschaftlicher Wandel ist möglich. Er beginnt damit, dass wir Aufklärung erweitern. Dass wir Vielfalt sichtbar machen. Dass wir in Familien, Schulen und Partnerschaften anders über den weiblichen Körper sprechen. Kein Körperteil braucht so viel positive Neubewertung wie die Vulva. Sie ist nicht versteckt, weil sie peinlich ist. Sie ist geschützt, weil sie wertvoll ist.

 

Jede Vulva ist Ausdruck von Einzigartigkeit. Keine gleicht der anderen. Jede trägt Geschichte, Lust, Verletzlichkeit, Kraft. Jede Frau verdient ein Verhältnis zu ihrem Körper, das frei ist von Scham.

 

Wenn Frauen beginnen, ihre Vulva anzunehmen, verändert sich viel mehr als ihr Körperbild. Sexualität wird lebendiger. Beziehungen werden intimer. Scham verliert ihren Platz. Vertrauen wächst. Und aus Vertrauen entsteht Lust.

 

Viva la Vulva. Und Schluss mit der Scham.

 

Joe Turan

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