Das Monster, das ich erschaffen habe, um das Kind in mir zu beschützen, ist schwer zu bändigen.

Veröffentlicht am 25. Dezember 2025 um 12:42

Als du klein warst, war dein Nervensystem zu jung, um Gefahr und Sicherheit logisch zu verstehen. Es lernte durch Erfahrung. Es prägte sich Tonlagen ein, Veränderungen in der Energie, das Geräusch der Stille vor der Wut. Es nahm jeden Moment der Anspannung und jeden Rückzug auf. Der Körper lernte, sich zu panzern, lange bevor der Verstand begreifen konnte, was geschah.

 

Und so hast du Abwehrmechanismen erschaffen, einen Beschützer. Ein Monster.

 

Die Tragödie ist, dass diese Abwehrmechanismen keine Zeit kennen. Sie erkennen nicht, dass die Gefahr vorbei ist. Für das Nervensystem fühlt sich jeder Streit, jede Stille, jede Zurückweisung an wie die Rückkehr der Vergangenheit. Der Beschützer erhebt sich wieder, wild und loyal, bereit, das innere Kind zu verteidigen. Doch was er nicht weiß, ist, dass er dich nicht mehr vor Gefahr, sondern vor Liebe beschützt.

 

Die Rüstung, die du gebaut hast, um deine Kindheit zu überleben, wird im Erwachsenenalter oft zu schwer. Sie schränkt Bewegung ein. Sie isoliert. Sie betäubt die Sinne. Du kannst keinen großen Schmerz mehr fühlen, aber auch keine große Freude.

Die Mauern, die dich einst sicher fühlen ließen, beginnen sich wie Gefängnisse anzufühlen. Du schaust dich um und erkennst, dass du sowohl der Gefangene als auch der Wächter bist.

 

Als der Schmerz zu groß wurde, baute das Kind in dir einen Beschützer aus der Kraft, die ihm zur Verfügung stand. Manchmal war es Wut, manchmal Schweigen, manchmal Kontrolle. Der Beschützer übernahm, weil das Kind es nicht konnte.

 

Dieses Monster war nicht böse. Es war brillant. Es lernte, Gefahr zu erkennen, bevor sie eintrat. Es lernte, zu kämpfen, bevor dich jemand verletzen konnte. Es lernte, zu verschwinden, wenn Liebe unsicher wurde. Jedes Verhalten, das sich heute erschöpfend anfühlt, war einst ein Weg, am Leben zu bleiben.

 

Aber was passiert, wenn der Krieg vorbei ist?

 

Der Beschützer kennt keinen Frieden. Er scannt weiter, hält Wache, spannt sich an. Er glaubt, dass Stille Schwäche bedeutet. Er versteht nicht, dass das Kind, das er einst beschützt hat, erwachsen geworden ist. Also tut er weiter, was er am besten kann verteidigen, angreifen, kontrollieren.

 

Das ist der Grund, warum das Monster so schwer zu bändigen ist. Weil es glaubt, dass es immer noch gebraucht wird.

 

Wenn jemand versucht, dich zu lieben, tritt das Monster hervor.

Es liest Zärtlichkeit als Bedrohung.

Es deutet Nähe als Kontrolle.

Es glaubt, dich zu retten.

 

Wenn du beginnst, erfolgreich zu sein oder dich zu öffnen, warnt es dich, dass du alles verlieren wirst.

Es will dein Leben nicht ruinieren es will dich beschützen.

Es weiß nur nicht, dass sich Sicherheit verändert hat.

 

Das Kind brauchte Rüstung. Der Erwachsene braucht Präsenz. Aber die Rüstung ist noch immer da.

 

Deshalb können Liebe, Ruhe oder Entspannung sich unangenehm anfühlen. Der Beschützer weiß nicht, was er damit anfangen soll. Er versteht Vertrauen nicht. Seine Loyalität gehört der Vergangenheit, nicht der Gegenwart.

 

Jeder Satz, der aus dieser Wunde geboren wird, trägt dieselbe Wahrheit in sich:

 

„Die Rüstung, die ich gebaut habe, um meine Kindheit zu überleben, erdrückt mich als Erwachsener.“

„Die Mauern, die mich einst beschützt haben, machen mich heute einsam.“

„Der Beschützer in mir hat nie bemerkt, dass der Krieg vorbei ist.“

„Die Stärke, die mich damals gerettet hat, ist dieselbe Stärke, die heute Liebe fernhält.“

 

Das sind keine Metaphern. Das sind psychologische Realitäten. Der Körper erinnert sich an die Gefahr. Das Nervensystem kämpft weiter gegen Geister. Der Verstand baut Geschichten, um die Anspannung zu erklären.

 

Deshalb besteht die Aufgabe nicht darin, das Monster zu zerstören. Sondern ihm zu begegnen.

 

Wenn du ihm mit Präsenz begegnest, ohne Urteil, beginnt sich etwas zu verändern. Du erkennst, dass es nicht der Feind ist sondern ein überarbeiteter Wächter. Es hat alles, was es weiß, aus deinem Schmerz gelernt. Es braucht ein Update, keine Auslöschung.

 

Heilung geschieht in dem Moment, in dem du aufhörst, den Beschützer zum Schweigen zu bringen, und beginnst, ihm zuzuhören.

Er muss hören, dass das Kind, das er einst verteidigt hat, nicht mehr in Gefahr ist.

Er muss sehen, dass es jetzt einen Erwachsenen gibt, der Angst halten kann, ohne zu fliehen, der Nein sagen kann, ohne Schuld, der lieben kann, ohne sich selbst zu verlieren.

 

Wenn das geschieht, wird das Monster weicher.

Seine Wut verwandelt sich in Energie.

Seine Wachsamkeit wird zu Bewusstheit.

Seine Kontrolle wird zu Stärke.

 

Die gleiche Kraft, die dich einst verteidigte, kann beginnen, dich zu tragen.

Aber dieser Wandel geschieht nur, wenn du aufhörst, dagegen zu kämpfen, und beginnst, es zu fühlen.

 

Das Monster, das du erschaffen hast, wurde aus Liebe geboren aus Liebe zu deinem eigenen Überleben.

Aber es muss dich nicht länger regieren.

Du kannst ihm danken. Du kannst ihm die Wahrheit sagen:

„Du hast alles getan, um mich zu beschützen. Du darfst jetzt ruhen.“

 

Dort beginnt Heilung.

 

Wenn der Beschützer seine Waffe niederlegt, kommt das Kind in dir endlich nach Hause.

 

Joe Turan

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