Ein Morgenimpuls für dich ☀️
Die präzisen Mechanismen von Spiritual Bypassing, spirituellem Narzissmus und falscher Tiefe.
Wenn spirituelle Suche zu einer weiteren Form wird, nichts Reales fühlen zu müssen
Die Jagd nach transzendenten Zuständen kann zur raffiniertesten Form emotionaler Vermeidung werden, die der modernen Psyche zur Verfügung steht. Wir kleiden unsere Angst vor Gewöhnlichkeit in die Sprache des Erwachens. Wir nennen unsere Unfähigkeit, Stille auszuhalten, eine Sehnsucht nach dem Göttlichen. Wir etikettieren unsere Angst vor Intimität neu als Suche nach höherem Bewusstsein.
In meiner klinischen und spirituellen Praxis sehe ich häufig, wie „Energie“ und „Tiefe“ als ausgefeilte Masken genutzt werden, um eine tiefe Angst vor menschlicher Verletzlichkeit und einen Mangel an echter emotionaler Regulation zu verbergen.
Falsche Spiritualität lebt von der Jagd nach „hoher Schwingung“ oder „Peak States“. Wenn jemand Spiritualität als Maske benutzt, sucht er keine Verbindung, sondern einen Seinszustand, der unangreifbar ist. Durch die Fixierung auf „Wirbelsäulenwellen“ oder „Energieströme“ lassen sich die unordentlichen, unbequemen Realitäten von Wut, Scham oder Trauer umgehen. Solange man im „Strom“ bleibt, muss man sich nicht mit dem Menschen auseinandersetzen, der einem gegenübersteht.
So entsteht eine „falsche Tiefe“. Man sieht zum Beispiel ein Paar, das während einer Breathwork-Session unglaublich „eingestimmt“ wirkt, das aber an einer einfachen Meinungsverschiedenheit über Finanzen zerbricht. Die „Energie“ ist zur Performance geworden, zu einer Möglichkeit, sich „besonders“ oder „erwacht“ zu fühlen, ohne die schwere Arbeit psychologischer Integration zu leisten.
Kontrolle ist der Schatten des Suchenden. Kontrolle wirkt leise. In falscher Spiritualität wird diese Kontrolle zur Waffe. Passt ein Partner die „Frequenz“ nicht an oder „hält die Ladung“ nicht, wird er als „unbewusst“ oder „blockiert“ etikettiert. Das ist Narzissmus, getarnt als feine Unterscheidungsfähigkeit.
Die „Jagd“ ist in Wahrheit ein Nervensystem auf der Flucht. Man rennt vor der Leere gewöhnlicher Präsenz davon und hin zu einem hochaktivierten Zustand, der Lebendigkeit imitiert. Weil dieser Zustand jedoch erzwungen ist, beginnt der Körper die „spirituelle Praxis“ irgendwann als Bedrohung zu behandeln. Das Nervensystem schließt sich, weil es die Forderung spürt. Es fühlt sich wie Arbeit an statt wie Freude.
Warum diese Maske existiert?
Die Maske der Tiefe ist eine Abwehr gegen den Schrecken, gewöhnlich zu sein. Echte Tiefe ist oft leise, langweilig und schwer. Sie beinhaltet die somatische Erfahrung von Gewicht, das Anerkennen von Begrenzungen und die Geduld, im „Nichts“ zu bleiben.
Menschen nutzen „Energie“ als Maske, weil „Energie“ sich machtvoll anfühlt. Sie vermittelt ein Gefühl von Handlungsmacht. Echte Hingabe, jene Art, bei der sich der Körper öffnet, weil kein Anspruch besteht, verlangt vom Ego einen kleinen Tod. Falsche Spiritualität verweigert diesen Tod. Sie will die „Lichtshow“ ohne die „dunkle Nacht“.
Wenn du aufhörst, „dem Strom hinterherzujagen“, sagst du deinem Ego im Grunde, dass es zurücktreten soll. Du wechselst vom Modus des Tuns in den Modus des Seins. Hier beginnt echtes spirituelles Erwachen. Es findet sich nicht in der Steigerung von Stimulation, sondern in der Erweiterung deiner Fähigkeit, alles zu halten, was da ist, selbst wenn das, was da ist, Stille ist oder ein Mangel an Energie.
Authentizität kehrt zurück, wenn du die Wahrheit deines Körpers höher bewertest als die Ziele deines Verstandes. Wenn dein Körper müde ist, bedeutet echte Tiefe, diese Erschöpfung zu achten, statt zu versuchen, sie „wegzuatmen“, um irgendwo eine verborgene Lichtreserve zu finden. Der Körper vertraut dir erst dann, wenn du aufhörst zu verlangen, dass er „außergewöhnlich“ sein soll.
Have a nice day 🤍
Joe Turan
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